CARMEN TRANSILVANIAE - Das Lied Siebenbürgens

nach Aurel Rãu


Schon seit dem Altertum pflegt man Siebenbürgen mit einer wehrhaften Festung und seine Berge mit einer ruhmreichen Krone zu vergleichen.

Eine Festung, die durch ein gewaltiges Erdbeben des europäischen Festlandes entstand: Es erhob sich die Karpatenkette, umspannte Siebenbürgen in weitem Bogen - ihrerseits von Ebenen umrahmt, die sich heute bis zum Donaubett und zur Küste des Schwarzen Meeres ausbreiten. Der Karpatenkranz, mit Gipfeln, die 2500 Meter erreichen, ist von vulkanischen Seen durchsetzt, deren Wasserflächen in der Sonne gleißen. Zu seinen Reichtümern gehören die jahrtausendealten Tannen-, Eichen-, Bergahorn- und Buchenwälder, die Eishöhlen mit ganzen Hochzeitszügen von Stalaktiten und Stalagmiten, Marmorbrüche, Salzstöcke, Kohlenflöze, Gold- und Silberminen, warme Quellen, sprudelndes Erdöl und ausströmendes Erdgas.

Mit Vorliebe suchen die Rumänen ihre Herkunft, ihr Altertum in diesem geschützten Gebiet, auf diesem Stück Erde unter mildem Klima; ein geeigneter Platz für Bauwerke und Lagerungen, zum Rückzug und zum Niederlassen: Altar, Herd, ethnisches Reservoir. Die Geschichte - Herodot, Strabo, Ptolemäus - trifft sie hier an, die Geto-Daker, einen indoeuropäischen Volksstamm, hier beheimatet, hier gewachsen wie die Wälder, "die bravsten und aufrechtesten der Thraker". Sie kämpften unter einer Wolfskopfflagge und besprengten sich mit Donauwasser, ehe sie in den Kampf zogen. Sie gaben sich erst geschl.agen, als es den römischen Legionen, "ex toto orbe terrarum" herbeordert, gelang, ihr Befestigungsbollwerk in den Oascher Bergen in Schutt und in Asche zu legen.

Es entstand das römische Dakien, bald als Dacia felix bezeichnet, eine blühende Provinz mit Straßen, Steinbrücken und Wasserleitungen, mit Städten, in denen es Badehäuser und Denkmäler, Tempel und mit der Zeit auch Basiliken gab. Die Bevölkerung sprach zunächst Vulgärlatein, und daraus wurde eine ihrem Grundwortschatz und ihrer grammatikalischen Struktur nach romanische Sprache: Im heutigen rumänisch haben sich nur ungefähr 160 Wörter dakischen Ursprungs erhalten. Als Osttor Europas, als ein mit Gütern gesegnetes Land, eine Art Kalifornien der Antike - die Römer sollen hier im Jahre 106 etwa 165 Tonnen Gold erbeutet haben -, wurde Siebenbürgen ein Jahrtausend lang das Ziel aller möglichen Besetzungen; es verlockte die wandernden Völker zu zeitweiliger Rast oder Ansiedlung. Viele dieser Völker - mögen sie Glück oder Schrecken gebracht haben - leben heute nur noch in den meisterhaft gearbeiteten Goldschätzen fort, die sie im Lande hinterließen: die ostgermanischen Gepiden, die hunnischen Awaren und das Turkvolk der Petschenegen.

Das Leben floß dahin, auf Zeiten der Stille folgten Katastrophen. Ruhe und Beständigkeit bot vor allem das Landleben, boten die langgestreckten Täler. Es bildeten sich unterschiedliche ethnische Gebiete heraus, die sogenannten Lande, Das Hatzeger-, Fogarascher- und Burzenland im Mittelabschnitt der Karpaten, das Szeklerland und die Maramuresch in den Ostkarpaten, das Oascher Land im Nordwesten und dann der ganze westliche Teil, das Motzenland. Die Menschen bauten bis zu einer Höhe von 1300 Metern Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, Hirse und Hülsenfrüchte an. Einmal im Jahr versammelten sich die Bewohner an vorher verabredeten Grenzorten der Lande auf Jahrmärkten, wo sie ihre Erzeugnisse austauschten, sich bei dem Hora-Tanz vergnügten, einander kennenlernten und wo die jungen Männer auf Brautschau gingen. Die von Obst- und Weingärten eingenommenen Flächen auf den Hängen wurden immer größer.

Man jagte den Auerochsen, das Schwarzwild, den Fischotter, man fischte den Wels, angelte die Forelle, und dabei erzählte man einander Geschichten von unglaublichen Hirschjagden. Am Ufer der raschen Flüsse wuschen die Leute Gold aus dem Sand. Sie trieben ihre Herden auf die Bergalmen hinauf, in die Einsamkeit der Felsen und Fichten. Unter dem Blick der Gestirne kam es Generation um Generation, zwischen den Herbsten und Lenzen, im Rascheln der Blätter und dem Gesang der Vögel zu einem Einswerden von Mensch und Natur; im Volkslied, vor allem im Meisterwerk Mioritza (Das Lämmchen) klingt das nach:

Sag ihnen frei: daß ich vermählet sei

mit einer Fürstin traut, mit einer Himmelsbraut;

als es die Hochzeit gab, fiel hell ein Stern herab;

Sonne und Mondenglanz hielten den Hochzeitskranz;

Espe war, Tanne war unter der Gästeschar;

Berge die Priester war'n, Spielleut' die Vogelschar'n -

mochten wohl tausend sein - Sterne: der Fackelschein.

Im siebenbürgisch-rumänischen Dorf gibt es viele und schöne Holzbauten, eine Kunst, die an die alte Tradition der Holzarchitektur anknüpft, wie sie auch im hohen Norden, in Skandinavien, zu Hause ist. Aus langen, runden Stämmen oder behauenen Bohlen, die so gelegt werden, da8 die Enden ineinandergreifen, entstehen meist rechteckige Häuser mit zwei bis vier Räumen, häufig mit einem Vorflur oder überdachtem Hausgang, mit geschnitzten Stützbalken oder halbrunden Arkaden. Beachtung verdienen die polygonalen Scheunen im Siebenbürgischen Erzgebirge, die geschnitzten Tore in der Maramuresch und die "gute Stube" in jedem Haus. Die wichtigsten Möbelstücke sind an den Wänden aufgereiht: lange Sitzbänke, das Bett, die Aussteuertruhe der Frau oder der heiratsfähigen Tochter. Die Wände mit Wandbehängen, Handtüchern und Teppichen bedeckt. Darüber prangen auf einem vier bis fünf Meter langen Wandgestell Teller, Schüsseln und langhalsige Krüge aus gebranntem, glasiertem Ton. Der Ehrenplatz ist Hinterglas-Ikonen vorbehalten.

Auch die vielen zum Hirtenleben gehörenden Gegenstände dürfen nicht übergangen werden: Nagelknüttel, Löffel und Flöten, Schöpfkellen zum Wassertrinken mit zierlichen Schnitzereien und dem Glanz von altem verräuchertem Holz; dann die Werkzeuge der Hausindustrie, darunter die hölzernen Heugabeln, die Spinnrocken, die durch ihre feinen Schnitzereien an ziseliertes Silber oder vergilbtes, gedrechseltes Elfenbein erinnern.

Aber der höchste Ausdruck der Holzkunst, ihre Vollendung als ein anonymes Gemeinschaftswerk, das den einfachen Grundriß der Bauernhäuser weiterführt, sind zweifellos die Dorfkirchen Siebenbürgens. Aus Unduldsamkeit geboren - die ungarischen Könige aus dem Hause Anjou verliehen dem Verbot, rumänische Kirchen aus Stein zu bauen, Gesetzeskraft -, entwickelten sie an diesen durch Schlichtheit und Harmonie einzigartigen Bauwerken eigene technische Lösungen, als der Ruhm der romanischen und gotischen Architektur des Westens bis hierher ausstrahlte. Der Grundriß, der bei allen Holzkirchen im ganzen rumänischen Siedlungsgebiet der gleiche ist, kennzeichnet sich durch die Längsdreiteilung des Haupt-raumes. Die Wände sind nicht hoch, zwischen 1,80 Meter und 2,50 Meter, die Türen häufig aus einem einzigen Brett. Mythische Motive -Sonnenrosette, Lebensbaum, doppelköpfiger Vogel, Schlange und Drachen - sind mit den überall anzutreffenden kleinen Rechtecken, Dreiecken und Rhomben wirkungsvoll verwoben. Das steil aufstrebende Schindeldach erhöht den Bau, und der Turm, mit viereckigem Querschnitt und von einem kegel- oder pyramidenförmigen Helm abgedeckt, der wie ein Pfeil himmelan strebt, führt den Blick bis zu 40 Meter Höhe. Auf Hügeln erbaut, beherrschen diese frühen Kultstätten das Dorfbild.

Die ethnische Vielfalt Siebenbürgens ist aber auch bestimmt durch die Bräuche, die Architektur, die Volkstracht und das Handwerk jüngerer Völkerschaften, welche die Geschichte hierherführte. Deren eigenwüchsige Kunst behauptete sich in ihren charakteristischen Merkmalen. So ließe sich vieles sagen über das Ciuc-Gebirge, das Szeklerland und das Valea-Calatei-Tal bei Cluj-Klausenburg, wo Dörfer mit kompakter ungarischer Bevölkerung liegen, oder über das Nösnerland um Bistriza-Bistritz, das Burzenland und das Kokeltal, wo deutsche Kolonisten aus fränkischem Stamm eine ausgeprägte Zivilisation entwickelten. Sehr gefragt waren: das Nösner Steingutgeschirr, die Kacheln mit aufgemalten Reitern und Tänzern, Vasen mit blauen und gelben Blumen auf weißem Engobegrund, die kobaltblaue Sgraffito-Keramik mit zart konturierten Vögeln aus Saschiz oder die Krüge mit einem Reliefring aus Kirchberg. Formvollendet ist auch das ungarische Steingut mit seinen bäuerlichen Erzeugnissen aus Korund und lara, sind die städtischen Steingutprodukte aus Odorhei und Tirgul Secuiesc, die häufig Blumen- und Tiermotive oder solche von Habanerfayencen verwenden.

Eine besondere Erwähnung noch den bemalten siebenbürgisch-sächsischen Möbeln, den Szekler Teppichen und Toren, den sächsischen Steinhäusern, die in ihrem fränkischen Baustil wie Monolithe seit Ansiedlungszeiten hier zu stehen scheinen, den einfarbigen bestickten Geweben. Es sind dies Zeugnisse der Volkskunst, die wie der Metallschmuck an der Frauentracht der Bergrumäninnen, die Krüge aus Oasch mit ihren roten und schwarzen Kreisen und Tupfen, wie die blühenden Mohn- und Kornblumen auf den Zarander Hemden und die bunte Stickerei auf den Schürzen und Pelzwesten im Altgebiet von einer steten und fruchtbaren Wechselwirkung sprechen. Die Städte mit ihren schlanken Türmen nehmen uns auf; mit ihren finsteren, gleichsam lauernden Schießscharten, mit der aristokratischen Eurhythmie der Glocken, mit ihren grolen, hellbeleuchteten Turmuhren, glotzend wie riesige Eulenaugen. Das 13. Jahrhundert mit seinen Basiliken geht zur Neige, das 14. und das 15. ziehen herauf; die Gotik und die Spätgotik erobern die Orte, die sich vom Jahre 1316 an mit königlicher Erlaubnis civitas nennen dürfen. Hinzu kommen zahlreiche königliche Festungen und Schlösser aus dem Mittelalter, So das gut erhaltene, vom Deutschritterorden angelegte Schloß zu Bran, die Törzburg, T377 als Festung zum Schutze von Kronstadt ausgebaut; Bauernburgen wie die von Rosenau, für Zeiten der Unbill; oder, prachtvolle Residenzen wie das Kastell des Iancu von Hunedoara, das, eindrucksvoll auf dem Felsen thronend, in Ritter-und Landtagssaal die Atmosphäre heroischer Zeiten bewahrt hat.

Siebenbürgen kann sich rühmen, so manchesmal in der Kultur- und Literaturgeschichte Rumäniens den ersten Schritt gemacht zu haben: die ältesten religiösen Bauwerke - die romanischen Kirchen in Densus, Strei und Gura Sada aus dem 13. Jahrhundert; die ersten Übersetzungen religiöser Texte, unter dem Einfluß des Humanismus und des Luthertums (1501 und 1524); die ersten Volksdichtungen etwa zur selben Zeit; außerdem die ersten in Hermannstadt und Kronstadt gedruckten rumänischen Bücher; das erste Buch in lateinischer Schrift, statt in der bis dahin üblichen kyrillischen (eine Liedersammlung um 1570); die erste große rumänische philologische und historische Strömung: die sogenannte siebenbürgische Schule. Und unser Jahrhundert? Wirtschaftlicher und sozial- kultureller Fortschritt schuf zahlreiche Industrieanlagen, Städte mit über 200 000 Einwohnern, Universitäten und Theater, Asphaltstraßen und Kurorte, Schutzhütten und Hotels in malerischen Gegenden, Museen, Naturschutzgebiete, Touristik. Der Siebenbürger arbeitet, hofft, liebt, liest die Meldungen von den letzten Weltraumflügen: Der Rauch aus den Schloten der Stahlwerke scheint bis zu den Sternen zu dringen - in den Bergen aber, hoch über abgründigen Schluchten und Felsen, ziehen riesenhafte Adler ihre Kreise über einer noch unverbrauchten Natur, wie in der geologischen Frühe. Und an milden Abenden züngeln hie und da über Schätzen spielerisch-fahle Flammen auf und werden zu Zeit.